Dienstag, 17. Juli 2012

Warum Grundeinkommen?

Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist bei den meisten Piratenparteien ein großes Thema, aber auch abseits der Piraten gibt es immer mehr Initiativen, die sich für ein Grundeinkommen einsetzen. Die Idee ist nicht neu, denn bereits 1962 formulierte Milton Friedman, ein US-amerikanischer Ökonom, mit seinem Konzept einer "negativen Einkommensteuer" eine recht konkrete Vorstellung eines Grundeinkommens.

Sie kennen sicher den nationalsozialistisch geprägten Ausdruck "Arbeit macht frei" von Aufschriften auf KZ-Lagern wie Ausschwitz. Leider ist es tragische Tatsache, daß wir heutzutage in einer Gesellschaft leben, die uns suggeriert, daß wir nur durch Erwerbsarbeit "frei" im Sinne von unabhängig von Sozialleistungen sind, und dadurch den Respekt der anderen verdienen. Nur durch Leistung gegen Entgelt können wir uns Wohlstand schaffen sofern wir nicht einer Familie des Geldadels enstammen und so Wohlstand ererben. Geld macht frei, und Geld muß erarbeitet werden, durch Geldlosigkeit definiert sich Armut. Es entsteht eine Zweiklassengesellschaft der Habenden und der Nichthabenden, ein Wertigkeitsgefälle im Sozialgefüge. Nichthabende werden ständig genötigt Nachweise zu erbringen, daß sie sozial bedürftig sind, sie laufen von Amt zu Amt, werden z.T. demütigenden Arbeitsintegrationsprojekten ausgesetzt, uvm. - eine sehr bedrückende Sache für die Betroffenen.

Bei den alten Römern und Griechen galt noch jener als frei, der nicht arbeiten mußte - arbeiten mußten nur die Unfreien und Sklaven. Erst mit der Industrialisierung erfolgte auch der Aufstand gegen die Herrschaft des unproduktiven Adels. Ulrich Beck notiert dazu 2007, daß die Demokratisierung in Europa und den USA primär auf den Bürger als "Arbeitsbürger" setzte. Die Industrialisierung der Arbeitsprozesse und Modernisierung der Produktion führte zu wirtschaftlichem Aufschwung - Maschinen erleichterten die Arbeit. Endlich konnten Waren in Massen produziert werden, was nicht zuletzt kleine Betriebe zu großen Konzernen heranwachsen ließ. Damit die Demokratie nicht gefährdet wurde durch Aufstände der Habenichtse, war es sinnvoll, daß man soziale Wohlfahrt walten ließ, diverse Sozialleistungen einführte und die Arbeitnehmer im Alter auch durch Pensionen versorgt waren. Um jedoch möglichst wenig Kosten für den Sozialstaat aufbringen zu müssen und möglichst gut zu wirtschaften, wurde und wird Vollbeschäftigung angestrebt.
Allerdings: Vollbeschäftigung ist eine Utopie! Wie soll diese Rechnung aufgehen: immer mehr Menschen auf der einen Seite, auf der anderen Seite immer bessere Maschinen, die immer weniger menschliche Arbeit notwendig machen. Insofern ist es Zeit, daß wir uns vom Credo der Vollbeschäftigung lösen und neue Wege am Arbeitsmarkt gehen.

Die Schwierigkeit, vor der wir stehen, ist es ,die tief ins uns eingesickerte Meinung, daß man Geld nur gegen Leistung erhalten dürfe, zu überwinden. Dabei hat Geld und die damit verbundene Marktwirtschaft zu skurrilen Auswüchsen geführt, denn die Arbeitsstunde eines Arbeiters wird beispielsweise nur mit etwa einem Promille des Geldes vergütet wie etwa die Arbeitsstunde eines Konzernmanagers. Und während jemand, welcher der "Working-poor"-Schicht angehört, seine Ausgaben jeden Monat auf den Cent genau kalkulieren muß, wird auf dem internationalen Level von Banken einfach Geld erschaffen, für das es gar keine Sicherheiten gibt - es wird Geld erschaffen, das letztlich über die Kreditzinsen der Arbeitnehmer, aber auch ganzer Staaten, zurückgezahlt wird an diejenigen, die das Geld erschaffen. Verrückte Welt.

Blicken wir noch einmal darauf, daß die Arbeitsleistung für verschiedene Tätigkeiten nicht nur ungleich abgegolten wird, sondern, daß dieses Ungleichgewicht irritierend groß ist. Die Schweiz weist skurrilerweise aufgrund ihrer steuerlichen Anziehungskraft für Superreiche eine Vermögensschere wie ein Entwicklungsland auf: die reichsten 3% besitzen soviel Geld wie wir die restlichen 97% der Schweizer.
Die Vermögensschere der Industrieländer klafft zusehends immer stärker auf, auch in Österreich:

Die Vermögensschere in Österreich klafft weiterhin auseinander: Nur etwa 2 Prozent aller Haushalte besitzen rund 40 Prozent des gesamten Immobilienvermögens. 54 Prozent des Bruttogeldvermögens sind in Händen von 10 Prozent der Haushalte. 
http://www.volkshilfe.at/1068,563--,27,2.html

Nun mag sich der geneigte Leser denken: wo ist nun die Verbindung zum Grundeinkommen? Und wer bezahlt das? Und wer macht die unliebsamen Arbeiten dann, wenn wir alle Geld fürs Nichtstun bekommen?
Doch genau das ist unsere Chance, denn durch ein BGE bekommt auch unliebsame Arbeit wieder einen Wert.
Dann gibt es kein "working-poor" mehr. Wir müssen dann nicht mehr für ein geringes Einkommen putzen oder auf Baustellen helfen. Diese Leistungen müßten dann fair entlohnt werden - jemand, der dann z.B. in Form einer Ich-AG, einen Putzdienst anbietet, hat dadurch die Chance auf einen richtig guten Lebensstandard ohne Schulden.
Solche Ich-AGs lassen aber auch wiederum Steuergeld in die Kasse fließen, während wir bisher das Potential der Arbeitslosen nicht nützen konnten. Es ist ja so, daß ein Arbeitssuchender, der möglicherweise den Wunsch hegt sich selbständig zu machen, ein viel zu großes finanzielles Risiko hätte um aus dem Nichts heraus etwas aufzubauen. Hingegen ist es, wenn jemand z.B. 800 Euro BGE zur Deckung der notwendigsten Ausgaben im Rücken weiß, wesentlich einfacher und sorgenfreier eine kleine Firma aufzubauen, da die Angst, seine Miete nicht zahlen zu können, schon mal wegfiele.
Hinzu kommt, daß man mit weniger Druck einer lohnenden Erwerbsarbeit nachgehen zu müssen, auch eher bereit ist, ehrenamtlichen Einsatz oder kreative Schaffenskraft zum Wohl der Gesellschaft zu erbringen.
Das Grundeinkommen bietet aber auch Eltern die Möglichkeit weniger arbeiten zu müssen und sich mehr um ihre Kinder kümmen zu können. Gerade für jene, die bislang geringe Einkommen hatten und daher zur 40-Stunden-Wochen genötigt waren, gäbe es dann beispielsweise die Variante nur mehr Teilzeit zu arbeiten und dafür die Kinder zu betreuen, anstatt sie dauernd in eine öffentliche Betreuungseinrichtung (die wiederum durch Steuergeld mitfinanziert wird) stecken zu müssen. Das kommt allen Beteiligten zu Gute.

Viele Fachleute, die sich bereits zum Grundeinkommen Gedanken gemacht haben, kommen zu dem Schluß, das dieses auch daß es auch in Firmen Vorzüge mit sich bringen würde. Durch die Freiwilligkeit am Arbeiten, die durch das BGE erzeugt würde, wären die Mitarbeiter motivierter und würden ihre Potentiale besser ausschöpfen. Auch würden durch Stundenreduzierungen der Dienstverhältnisse neue Jobs geschaffen, was der Arbeitslosenquote entgegenwirkt.
Wir müssen uns, wie Ulrich Beck es bereits andeutet, vor Augen halten, daß eine ganze Generation an Chancenlosen heranwächst, nämlich jene Kinder und Jugendlichen aus sozial schwachen Familien oder Familien mit Migrationshintergrund, die nicht selten nach der Pflichtschule selbst zu Sozialhilfeempfängern werden, weil sie keine Arbeit oder Ausbildungsstelle finden. Was der Staat an diesen Jugendlichen eingespart und versäumt hat, fällt uns später möglicherweise auf den Kopf durch noch mehr Sozialleistungen und im schlimmsten Falle durch Strategien gegen zunehmende Kriminalität.
Aber selbst gut ausgebildete junge Menschen haben im modernen Europa keine guten Chancen am Arbeitsmarkt mehr - bereits jetzt emigrieren viele junge Leute nach dem Studium von den südlichen EU-Ländern in den Norden in der Hoffnung auf Arbeit, das bedeutet eine Abwanderung gutausgebildeter Fachkräfte in den Herkunftsländern, was innerhalb der EU heute schon für ein unnatürliches Gefälle sorgt.
All dies sind Gründe, die ein europaweites BGE sinnvoll machen.
Aber wie zahlt man´s nun?

2011 wurden in Deutschland pro Kopf und Jahr ca. 14.235 Euro an Staatsausgaben getätigt (insgesamt 1.162 Milliarden Euro).[10] Für 2010 betrugen die Sozialleistungen in Deutschland insgesamt 761 Mrd. Euro (entspricht etwa 9.300 € pro Kopf). Dabei betrug nach Abzug aller sonstigen Kosten in Höhe von 30,8 Mrd. Euro der ausgezahlte Anteil je 40,3 % für den Bereich Alter und Hinterbliebene, 40,1 % für den Bereich Krankheit und Invalidität, 10,9 % für den Bereich Kinder, Ehegatten und Mutterschaft, sowie 8,7% für die Bereiche Arbeitslosigkeit und Wohnen sowie allgemeine Lebenshilfen
http://de.wikipedia.org/wiki/Bedingungsloses_Grundeinkommen

Wie man sieht sind, betrugen bereits im Jahr 2010 die Ausgaben der Sozialleistungen pro Einwohner der BRD ungefähr 9300 Euro jährlich...Tendenz steigend.
Es gibt bereits gut durchkalkulierte Modelle, die zeigen, wie sich das BGE aus Mitteln der Mehrwertssteuer oder durch eine negative Einkommenssteuer finanzieren ließe:

Die Negative Einkommensteuer ist das Modell einer staatlichen Transferleistung, die das Existenzminimum deckt und die jeder Bürger ohne bzw. mit geringem Einkommen erhält. Die Höhe dieser Transferleistung nimmt ab, sobald der Bürger ein eigenes Einkommen erzielt (jedoch nicht im selben Ausmaß).

Das Ulmer Transfergrenzen-Modell hat genau durchgerechnet, wie ein BGE finanziert werden könnte:  http://www.archiv-grundeinkommen.de/pelzer/Transfergrenzen-Modell-Abstract-V-2.pdf
und http://de.wikipedia.org/wiki/Ulmer_Modell
sowie: http://www.grundeinkommen-ulm.de/
Jene, die über der "Transfergrenze" liegen, zahlen dann Einkommensteuer an jene die unter der Transfergrenze liegen, z.B. weil sie gerade kein Einkommen haben, alt oder krank sind, usw...

Man könnte nun meinen, daß jene, die nicht arbeiten wollen, sich dann gemütlich zurücklehnen und sich von der Gesellschaft aushalten lassen. Aber ist es denn nicht so, daß jene, die ganz bewußt das Sozialsystem ausnützen und schmarotzen, das ohnehin bereits tun?
Über das BGE könnte in jedem Fall der Behördenapparat und die Bürokratie reduziert werden, denn man muß dann nicht mehr dauernd nachkontrollieren, wer sozial bedürftig ist und wer nicht. Es braucht dann bei weitem nicht mehr soviele Sozialhilfeanträge oder Arbeitslosenanträge, die bearbeitet werden müssen.

Das einzige, das die Finanzierungsmodelle noch nicht vorhersagen, das ist, wie sich die Situation in den zukünftigen Jahrzehnten im Hinblick auf internationale politische und wirtschaftliche Umwälzungen entwickelt. Allerdings gibt es immer mehr Staaten, die über ein Grundeinkommen nachdenken. Grundeinkommensähnliche Modelle gibt es etwa in Alaska und der Mongolei, aber auch in Brasilien wurde ein ähnliches Projekt mit sozial schwachen Menschen gestartet, das ausgebaut werden soll.

Zum Abschluß noch eine interessante Dokumentation über das Grundeinkommen:



Bildquellen: http://grundeinkommen-news.blogspot.co.at, http://austria.indymedia.org/
Autorin: Irene Labner

6 Kommentare:

  1. Ein sehr guter Artikel! Hinzufügen möchte ich, dass der derzeitige Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble selbst in einem Zeitungsinterview sagte, dass Deutschland jährlich 1 Billion Euronen an Sozialleistungen zahle. Deutschland hat 80 Millionen Einwohner. Erhielte jeder Einwohner monatlich ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1.000 Euronen pro Jahr, dann machte dies 960 Milliarden aus! Also weniger als der Betrag, den Deutschland schon heute für Sozialleistungen ausgibt! Da frage ich mich, wieso wird dann das BGE nicht schnellstens eingeführt?
    Tja, ein BGE würde ja zur Abschaffung vieler Behörden führen! Weil sie dann überflüssig sind. Das würde dann ein komplettes Umdenken dieser Gesellschaft bedeuten. In Deutschland wird ja eine niedrige Arbeitslosigkeit nur vorgegaugelt. In der Vergangenheit wurden sehr viele "Arbeitsplätze" in den Verwaltungen geschaffen, die keine sind. Finanziert werden diese Pseudo-Arbeitsplätze durch Steuermitteln. Derzeit ist das Maximum an durch Steuern finanzierte Arbeitsplätze längst überschritten! Dieses absurde System stößt an seine Grenzen.
    Ich weiß nicht, wie es in anderen Staaten ausschaut, vermutlich ähnlich.
    Vielleicht noch ein Hinweis: Da gibt es Rahel Uhlenhoff, sie bezeichnet "Hartz IV" als "Stillhalteprämie" dafür, dass die Bezieher von Hartz IV sich vom ersten Arbeitsmarkt fernhalten! Und der vehemente Kämpfer für ein BGE - Götz Werner - sagt über Hartz IV: Offener Strafvollzug!
    Ich bringe das nur an, weil oft hier in Deutschland Hartz IV als Alternative eines bedingungslosen Grundeinkommens genannt wird!

    AntwortenLöschen
  2. "Dieses absurde System stößt an seine Grenzen" - das trifft´s genau.
    Hartz IV schiebt ganze Familien aufs Abstellgleis - es ist ein soziales Stigma geworden, eine Sackgasse aus der man kaum mehr herauskommt.

    AntwortenLöschen
  3. Wie bereits erwähnt, das ist gewollt! Einmal Hartz IV - immer Hartz IV! Wenn ich mir da ansehe, wie es Johannes Ponader erging - dem Geschäftsführer der Piratenpartei? Er war "Aufstocker" und deshalb wurde versucht, ihn im Fernsehen zu diffamieren. Und das Jobcenter schickte ihn zum Coaching, damit er ja keine Zeit hat, ehrenamtlich als Geschäftsführer zu wirken! Wenn da Lanz in seiner Talkshow ihm vorwirft, er lebe von den Steuergeldern anderer! Dann ist das oberfies! Was ist dann mit den Steuerflüchtern, die ihr Geld in der Schweiz bunkern und an dem deutschen Finanzamt vorbeischleusen? Wer ist da der wertvollere Mensch? Ponader ist mir tausendmal lieber als ein Steuerflüchter !

    AntwortenLöschen
  4. Heute hab ich gerade mit einem Bekannten gesprochen - er ist 44 Jahre alt und das Arbeitsmarktservice empfahl ihm um Pension anzusuchen. Seit Monaten schreibt er Bewerbungen und bekommt immer nur Absagen, weil auf manche Stellen bis zu mehrere Hundert Bewerber schreiben. Gerade diese Menschen, die viel Berufspraxis haben, aber am Arbeitsmarkt als "zu alt" gelten und so in Langzeitarbeitslosigkeit fallen, hätten durch das BGE endlich die Chance mit Teilzeitjobs oder mit Ich-AGs wieder im Berufsleben Fuß zu fassen.

    AntwortenLöschen
  5. Genauso ist es! Aber das ist - jedenfalls in Deutschland - nicht gewollt! Grund: Auch der erste Arbeitsmarkt schrumpft immer mehr! Andererseits soll die Lüge von der Vollbeschäftigung aufrecht erhalten werden! Was jedoch nicht gelingen wird. Grund: Jetzt nach dem Skandal um die Manipulationen des Libor, sind viele Banken sauer - vor allem die Chinesen, dass sie von Langnasen übers Ohr gehauen wurden. Und da der Nationalstolz der Chinesen so etwas nicht verträgt, werden jetzt gewiss Geheimgesellschaften - die Triaden - aktiv und rächen sich an den Langnasen-Bankern. Das erschüttert natürlich das Bankenunwesen - gerade im Westen und damit die Wirtschaft - viele Systeme werden zusammenkrachen. Es muss einen Neubeginn geben!

    AntwortenLöschen
  6. Ja, ich fände das auch eine äusserst vernünftige Lösung. Debatiere darüber viel herum, doch viele wollen es nicht begreifen. Es fallen dauernd Begriffe wie faul, fleissig. Es ist ja noch immer die Vorstellung nur wer arbeitet soll auch essen.
    lg

    AntwortenLöschen